Ein Trauma ist Erlebnis, welches die Bewältigungsmöglichkeiten einer Person übersteigt. Traumatisierende Ereignisse treten in der Regel plötzlich und unerwartet auf. Es können dadurch Gefühle von Hilflosigkeit oder Angst auftreten. Als eine außergewöhnliche Belastung versteht man zum Beispiel einen schweren Unfall (den man selbst erleidet oder den man miterlebt). Jeder Mensch kann in eine Situation geraten, die so belastend ist, dass man damit überfordert ist. Psychische und Verhaltensänderungen direkt nach einem Trauma stellen eine normale Reaktion auf eine nicht normale Erfahrung dar. Solche Symptome können vorübergehend sein und von alleine wieder zurück gehen. Oder sie können anhalten, wodurch dann eine Behandlung sinnvoll ist.
Dasselbe belastendes Ereignis stellt nicht für alle Menschen ein Trauma dar. Man kann sich das grob so vorstellen: Erleben drei Menschen dieselbe außergewöhnlich belastende Situation, benötigt eine Person keinerlei professionelle Hilfe, eine Person benötigt etwas Unterstützung und eine Person benötigt eine psychotherapeutische Behandlung.
Es braucht Zeit, um ein außergewöhnlich belastendes Ereignis zu verarbeiten. Direkt nach dem Ereignis kann eine akute Belastungsreaktion auftreten. Diese wird nicht als psychische Störung angesehen im Diagnosesystem ICD-11. Die Belastungsreaktion zeigt sich z.B. durch das Gefühl von Betäubung, Angst, Hilflosigkeit sowie durch körperliche Symptome wie Herzklopfen, Zittern, Mundtrockenheit oder Atembeschwerden.
Bei vielen Kindern und Jugendlichen gehen Belastungsfolgen innerhalb von Monaten nach dem Ereignis zurück. Wenn sich nach ungefähr einem halben Jahr bei einem Kind oder Jugendlichen noch immer starke Beschwerden zeigen, sollte therapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden.
Erlebt ein junger Mensch ein belastendes Ereignis, ist es wichtig, sich von den Bezugspersonen (Eltern, Erziehern, Lehrern, Freunden) angenommen und verstanden zu fühlen. Betroffene benötigen das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.
Kinder fühlen sich sicher, wenn sie sich auf die Erwachsenen verlassen können. Deshalb ist ein Kind zusätzlich belastet, wenn bei dem belastenden Ereignis eine wichtige erwachsene Vertrauenspersonen selbst traumatisiert wird.
Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine - aber nicht die einzige - Traumafolgestörung. Eine PTBS kann auftreten als Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Das Klassifikationssystem ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt diese möglichen Symptome einer PTBS, welche vor allem bei Betroffenen im Erwachsenenalter auftreten:
Die Symptome kann man verstehen als Ausdruck von Veränderungen in der Funktionsweise des Gehirns nach dem Erleben eines Traumas. Das Vermeidungsverhalten, die Erinnerungslosigkeit und die anhaltende Erregung stellen Schutzmaßnahmen dar: Das Vermeidungsverhalten soll davor schützen, noch einmal in eine Situation zu kommen, bei der wieder eine schlimme Belastung auftritt. Die Erinnerungslücken schützen vor belastenden Erinnerungen an das Ereignis. Das extreme Wachsamsein soll davor schützen, noch einem in eine große Gefahr zu geraten. Dennoch können diese verständlichen Schutzmaßnahmen auch negative Folgen haben: Wer z.B. ständig wachsam ist, hat vermehrt Schlafprobleme und diese wiederum führen zu Konzentrationsproblemen in der Schule oder bei den Hausaufgaben.
Kindergartenalter: Bei Kindern in diesem Alter zeigt sich das Wiedererinnern eher dadurch, dass sie beim Spielen z.B. mit Bauklötzen, Figuren oder Autos Abläufe des Ereignisses wiederholen oder immer wieder Bilder über das Ereignis malen. Sollten Eltern hier eingreifen? Nein, Eltern sollten das Kind spielen und malen lassen. Wenn das Kind weint, jammert oder Alpträume hat, sollten Eltern das Kind beruhigen. Wenn das Kind nicht mehr in den Kindergarten gehen will, kann es in den ersten paar Tagen nach dem Ereignis in Ordnung sein, zu Hause zu bleiben. Danach sollten Eltern das Kind ermutigen, wieder in den Kindergarten zu gehen - jedoch ohne Druck zu erzeugen. Das Kind kann zudem vermehrt kleinkindliche Verhaltensweisen zeigen, sich also vermehrt anklammern an die Eltern, wieder einnässen oder einkoten. Eltern sollten das Kind dafür nicht kritisieren oder gar bestrafen.
Grundschulkinder: Auch in diesem Altersbereich gibt es Kinder, die das Erlebte nachzeichnen, aber auch über Bilder und Erinnerungen an das Ereignis klagen. Es ist wichtig zu wissen, dass die Erinnerungsbilder wieder verschwinden, wenn man die Belastung verarbeitet hat. Auch bei Schulkindern kann es gut sein, in den ersten Tagen nach dem Ereignis, zu Hause zu bleiben statt zur Schule zu gehen. Doch das Ziel sollte es sein, dann wieder am normalen Leben teilzunehmen. Man sollte wissen, dass vorübergehend das Lernen und die Konzentration auf schulische Inhalte nicht so einfach klappen, wie sonst.
Jugendliche, die durch ein Ereignis außergewöhnlich belastet sind, können eine Zwickmühle empfinden: Einerseits merken sie, dass sie wegen einer traumatisierenden Erfahrung Hilfe benötigen. Andererseits haben sie ein wachsendes Bedürfnis nach Autonomie und Selbständigkeit. Die eigenen Eltern sind deswegen oft gerade nicht die Personen, von denen Jugendliche Hilfe annehmen wollen. Eltern sollten die Bedürfnisse von Jugendlichen kennen, sie sollten Unterstützung anbieten, aber nicht aufdrängen und Jugendliche nicht ausfragen.
Zur Einschätzung, ob eine Traumafolgestörung vorliegt, führen Psychotherapeut*innen für Kinder und Jugendliche diagnostische Interviews durch. Außerdem gibt es Fragebogenverfahren, welche die Diagnostik unterstützen, wie:
Die Trauma-Symptom-Checkliste für Kinder und Jugendliche (TSC-KJ) zwischen 8 und 21 Jahren eingesetzt werden. Der Fragebogen umfasst sechs verschiedene Bereiche (unter anderem Depression, Ärger, Angst). Für den Altersbereich von 12 bis 21 Jahren stehen statistische Vergleichswerte zur Verfügung, um das Testergebnis einzuordnen.
Das Diagnostik-System für psychische Störungen (DISYPS-III) Fragebögen zu trauma- und belastungsbezogenen Störungen.
Die Psychotraumatologie ist die Lehre der psychischen Traumafolgen. Sie beschäftigt sich mit der Erforschung und der Behandlung der Auswirkungen von traumatischen Ereignissen. Ein grundlegend wichtiger Bestandteil der Behandlung ist die Psychoedukation.
Eine wissenschaftlich gut untersuchte Methode bietet das Manual:
Cohen, Judith A., Mannarino, Anthony P. & Deblinger, Esther (2009): Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen (TF-KVT)
Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung
Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung
Traumaambulanz für Kinder und Jugendliche: Charité, Berlin
Traumaambulanz für Erwachsene: Alexianer St. Hedwig Krankenhaus
Traumaambulanz für Erwachsene: Friedrich von Bodelschwingh-Klinik, Berlin
Liste mit Psychotraumatherapeut*innen der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer (OPK)
Eine hilfreiche Broschüre bietet das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Trauma bei Kindern und Jugendlichen. Informationen für Lehr- und Erziehungskräfte.
Ausführliche Informationen bietet auch das UNHCR-Handbuch für Pädagog*innen: Flucht und Trauma im Kontext Schule.
Stress-Trauma-Arousal-Regulation-Treatment (START) von Andrea Dixius & Eva Möhler: www.startyourway.de. Angeboten werden auch speziell Skills für geflüchtete Menschen aus der Ukrainne (deutsch) und Корисні поради та навички
Weltgesundheitsorganisation (WHO): Publikation für Hilfeleistende: Psychische Erste Hilfe. Weitere Informationen zu Mental Health in Emergencies
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Wenn Kinder ein Unglück miterleben: Flyer für Kinder.
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Wenn du ein Unglück miterlebt hast: Flyer für Jugendliche.
Psychotherapeutenkammer Hessen: Unterstützung von Jugendlichen nach traumatischen Ereignissen | Hinweise für Erwachsene nach traumatischen Ereignissen
Psychotherapeutenkammer Niedersachsen: Auf www.pknds.de
Informationen über Traumata bei Kindern bietet www.kidtrauma.com/de
National Child Traumatic Stress Network (NCTSN): Das NCTSN bietet einen Psychological First Aid Guide.
Nikendei, A. (2017): Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV). Praxisbuch Krisenintervention
Der große Schreck. Psychoedukation für Kinder nach traumatischen Ereignissen (Ahrens-Eipper et al.): Die Drachengeschichte
„Der große Schreck“ wurde als Psychoedukation für Kinder im Vor- und Grundschulalter entwickelt.
Seit 2015 gibt es in Deutschland zunehmend Aufmerksamkeit für die Situation geflüchteter Menschen. Besonders am Ort meiner Praxis, Eisenhüttenstadt, ist das auch im Zusammenhang mit der Erstaufnahmeeinrichtung der Fall. Das Leben geflüchteter Menschen wird nicht nur beeinflusst von Flüchtlingspolitik und der Frage, welche Haltung in unserer Gesellschaft geflüchteten Menchen zukommt. Menschen fliehen aus Ländern, in denen Krieg herrscht. Flucht bedeutet für die Betroffenen fast immer auch Ausgeliefertsein, Hilflosigkeit und Erlebnisse, die traumatisieren können. Im Ankunftsland erleben die Geflüchteten weiterhin große Unsicherheit: Das kann ein unklarer Aufenthaltsstatus sein, unklare Zukunftsperspektiven, die Sorge um zurückgelassene Familienmitglieder, fehlendes Einkommen, gesundheitliche Probleme, sprachliche Barrieren. Dies alles hat Auswirkungen auf die Psyche.
Du findest auf der Website von "MHFA Ersthelfer" wichtige Informationen für Menschen, die Geflüchtete betreuen in verschiedenen Sprachen (Deutsch, Ukrainisch український, Russisch русский, Englisch English).
Die psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) "hat ihre Wurzeln in der Erkenntnis, dass Menschen nach technischen, natürlichen oder menschlich verursachten Notfallereignissen nicht nur medizinische und / oder technische Hilfeleistung benötigen, sondern auch auf der psychischen und sozialen Ebene wirksame Hilfen zur Bewältigung der erschütternden und potenziell traumatisierenden Erfahrung", erklärt Irmtraud Beerlage in einem Gutachten (2008).
Das Flugschauunglück in Ramstein 1988, das ICE-Unglück in Eschede 1998 oder die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA sind Beispiele für Ereignisse, die das Bewusstsein gegenüber psychosozialen Belangen von Überlebenden, Angehörigen und Einsatzkräften geschärft haben.
Koordiniert wird die PSNV durch die Länderübergreifende Facharbeitsgruppe für Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV).
Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) umfasst im Kontext von belastenden Notfällen bzw. Einsatzsituation...
PSNV-Maßnahmen richten sich an zwei Zielgruppen:
Maßnahmen für notfallbetroffene Personen also Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene, Zeugen, Vermissende:
A) Psychische erste Hilfe: Hier geht es um die Kommunikation mit Betroffenen. Durchführende: Rettungsdienst, Feuerwehr, Polizei, Katastrophenschutz, THW, Bundeswehr...)
B) Psychosoziale (Akut-)Hilfe / Krisenintervention: Bedarfserhebung bei Betroffenen, Vermittlung in mittel- und längerfristige Maßnahmen (soziales Netzwerk etc.). Durchführende: Notfallseelsorger, Kriseninterventionsteams, Notfallpsychologen.
C) Mittel- und längerfristig:
Maßnahmen für Einsatzkräfte von Einsatzorganisationen (Rettungsdienst, Feuerwehr, der Polizei, Katastrophenschutz, THW, Bundeswehr): Diese gliedern sich sich in einsatzvorbereitende, einsatzbegleitende und einsatznachsorgende Maßnahmen. Vgl. Einsatznachsorge - Landesfeuerwehrverband Brandenburg e.V.
Als wichtiges Instrument zur Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis hat sich in Deutschland der Konsensus-Prozess entwickelt, ein Prozess zur Qualitätssicherung, berichtet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Dabei wurden Qualitätsstandards und Leitlinien für die PSNV entwickelt:
Psychosoziale Notfallversorgung: Qualitätsstandards und Leitlinien
In der PSNV treffen nicht-heilkundliche Helfer*innen und Angehörige der Heilkundeberufe (Fachärzt*innen für Psychiatrie und Psychotherapie & Psychotherapeut*innen) zusammen. Psychotherapie ist gesetzlich definiert als wissenschaftlich anerkannte Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert.
International wird die Rolle von Psychotherapeut*innen vor allem in der Qualifizierung, Supervision und Qualitätssicherung der nicht-heilkundlichen Helfer*innen gesehen. In Deutschland dagegen wird kontrovers die Rolle von Psychotherapeut*innen diskutiert: Hinsichtlich des Zeitpunktes, an dem sie aktiv werden sollten (sofort nach dem Ereignis?) und der diagnostisch-therapeutischen Maßnahmen.
Alle internationalen Empfehlungen besagen, dass "im Zeitfenster der Akutversorgung in den ersten Tagen Psychotherapie und Diagnostik nur im eher sehr seltenen Bedarfsfall (...) erforderlich und fachlich begründet" sind. Beerlage (2008) erklärt: "innerhalb der Akutphase am Einsatzort (1-2 Tage) bzw. in der mittelfristigen Nachsorge (4-6 Wochen)" ist psychotherapeutische Heilkunde nicht zwingend indiziert.