Nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten ist keine Seltenheit. Etwa 30% der Jugendlichen verletzen sich einmalig selbst. Studien im deutschsprachigen Raum zeigen, dass sich ca. 4% der 15-jährigen SchülerInnen wiederholt selbst verletzten (fünf mal oder mehr innerhalb eines Jahres). Bei den Bezugspersonen der Jugendlichen (z.B. den Eltern) kommt es oft zu Gefühlen von Hilflosigkeit, Angst und Sorgen. Bei den Betroffenen selbst hingegen treten oft Scham- oder Schuldgefühle auf.
Wenn ein Jugendlicher sich selbst verletzt, ist eine Abklärung wichtig z.B. bei einem Psychotherapeuten. Das Gespräch dort kann auch mit dem Jugendlichen und den Eltern getrennt geführt werden. Dabei wird besprochen, welche Art des selbstverletzenden Verhaltens vorliegt, seit wann es besteht, wie oft es vorkommt und zu welchem Zweck es dient, welche Auslöser es gibt. Es wird auch besprochen, ob Suizidalität vorliegt und ob eine psychische Störung wie z.B. eine Depression oder emotional instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline) vorliegt. Denn selbstverletzendes Verhalten kann im Rahmen verschiedener psychischer Störungen, aber auch unabhängig davon auftreten. Außerdem wird die Lebenssituation (in Bezug auf die Schule und die Familie) besprochen. Wichtig ist z.B., wie die Familie auf das selbstverletzende Verhalten reagiert. Darüberhinaus ist die akute Versorgung der Wunde (Infektionsgefahr) und eine körperliche Untersuchung durch einen Arzt anzuraten.
Die 15jährige Lisa berichtet, dass sie sich fast täglich "ritzen" würde: Sie verletzte sich selbst an den Armen. Direkt bevor sie das tue, spüre sie eine starke Anspannung und unangenehme Gefühle wie Wut oder Trauer. Nach dem selbstverletzenden Verhalten fühle sie sich kurzfristig erleichtert von den negativen Gefühlen. Nach kurzer Zeit kämen ihr dann aber Schuldgefühle. Auslöser für das selbstverletzende Verhalten seien oftmals vorherige Streitigkeiten.
Es wird davon ausgegangen, dass mehrer Einflussfaktoren zusammen an der Entstehung von selbstverletzendem Verhalten beteiligt sein können:
Wozu dient selbstverletzendes Verhalten? Man geht davon aus, dass selbstverletzendes Verhalten zur Regulation von Gefühlen eingesetzt wird: Zur Beseitigung von Stress, innerer Anspannung, Trauer, Niedergeschlagenheit, Angst, Ärger, Hilf- oder Hoffnungslosigkeit, teilweise aber auch um das Gefühl von Leere und Taubheit zu vertreiben. Betroffene beschreiben, dass ihnen das Verhalten ein Gefühl von Kontrolle über sich (also über die Gedanken, die Gefühle und den Körper) gibt.
Für die Behandlung ist zu klären, ob sie sich primär auf das selbstverletzenden Verhalten beziehen sollte oder auf eine zugrunde liegende psychische Störung. Ein häufiger Therapieansatz ist die sogenannte Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) für Jugendliche. Hier lernt man neue Fertigkeiten (Skills). Behandungsbausteine bei selbstverletzendem Verhalten können sein:
Es gibt einen "Ratgeber selbstverletzendes Verhalten. Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher" (In-Albon, Plener, Brunner, Kaess), erschienen bei Hogrefe.
Das Onlinehilfeangebot Jugendnotmail bietet Unterstützung für Jugendliche bis zum Alter von 19 Jahren bei vielen Themen, auch bei Selbstverletzungen.
Die Infoblätter der Cornell University bieten auf Englisch und Deutsch hilfreiches Wissen.
Für Psychotherapeuten und Ärzte gibt es eine Leitlinie Nicht-Suizidales Selbstverletzendes Verhalten (NSSV) im Kindes- und Jugendalter
Im Klassifikationssystem ICD-10 findet sich die "vorsätzliche Selbstschädigung mit einem scharfen Gegenstand" unter X78.