Zu wenige Behandlungsressourcen, zu viele Patient*innen: Die Triage

Der Begriff der Triage wurde einer größeren Öffentlichkeit während der Corona-Pandemie bekannt (vergleiche: Was das Triage-System zu bedeuten hat auf quarks.de). Im Frühjahr 2020 mussten Intensivmediziner*innen in Italien eine Auswahl treffen: Die Behandlungsplätze waren kleiner als die Zahl der Behandlungsbedürftigen. Sie mussten entscheiden, wer Hilfe bekommt und dadurch Überlebenschancen und wer keine Hilfe bekommt und stirbt. 

 

Prof. Dr. Christian Drosten, der mit dem Bundesverdienstkreuz für seine Arbeit zur Bekämpfung der COVID19-Pandemie ausgezeichnet wurde, berichtete, dass eine Triage auch in der größten Uniklinik Europas, der Charité Berlin notwendig ist. Was das genau bedeutet, schilderte er an diesem Szenario:

  • Ein beatmeter Patient in höherem Alter liegt auf der Intensivstation. Er hat eine Überlebenschance von 30 bis 50 %.
  • Ein 35jähriger COVID19-Patient mit schwerem Verlauf kommt auf die Intensivstation. "Wenn Sie den nicht jetzt an ein Beatmungsgerät anschließen, dann ist er übermorgen tot." "Was machen Sie?"
  • Der Intensivmediziner muss den älteren Patienten vom Beatmungsgerät trennen. "Das ist das, was Triage bedeutet".

In Deutschland wurde eine Leitlinie verfasst, wie mit Menschen in solchen Situationen zu verfahren ist. "Wenn die Ressourcen nicht ausreichen (...) muss unausweichlich entschieden werden, welche intensivpflichtigen Patienten intensivmedizinisch behandelt und welche nicht", heißt es in der Leitlinie "Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie". Bei der klinischen Erfolgsaussicht geht es um die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient die aktuelle Erkrankung mithilfe der Intensivtherapie überleben wird. Die längerfristige Überlebenswahrscheinlichkeit und Lebensqualität spielen dabei keine Rolle“, sagt Professor Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München, und Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin.Bei der klinischen Erfolgsaussicht geht es um die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient die aktuelle Erkrankung mithilfe der Intensivtherapie überleben wird. Die längerfristige Überlebenswahrscheinlichkeit und Lebensqualität spielen dabei keine Rolle“, sagt Professor Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München, und Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin.Bei der klinischen Erfolgsaussicht geht es um die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient die aktuelle Erkrankung mithilfe der Intensivtherapie überleben wird. Die längerfristige Überlebenswahrscheinlichkeit und Lebensqualität spielen dabei keine Rolle“, sagt Professor Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München, und Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin


Leitlinie: Auswahl der Patient*innen, die eine Behandlung bekommen

Die klinische Erfolgsaussicht wird in der Leitlinie als Hauptkriterium genannt, nach der Patient*innen für die Behandlung ausgewählt werden. „Bei der klinischen Erfolgsaussicht geht es um die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient die aktuelle Erkrankung mithilfe der Intensivtherapie überleben wird".

 

"Die längerfristige Überlebenswahrscheinlichkeit und Lebensqualität spielen dabei keine Rolle“, sagt Professor Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München und Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin. Das bedeutet, die Years of potential life lost (wiki/Years_of_potential_life_lost) spielen keine Rolle (so wie z.B. hier gefordert: Social Justice, Triage, and COVID-19).

 

Dieses Kriterium basiert auf der Entscheidung, "möglichst vielen Patienten" (Zitat aus der Leitlinie) eine Behandlung zu ermöglichen während man einzelnen Patienten weniger hilft als nötig wäre.


Rechtfertigung für die Triage

Das Triage-System basiert auf der Entscheidung, die Effizienz (Gesamtnutzenmaximierung) als oberstes Ziel zu definieren. Autoren haben jedoch angemerkt, dass diese Entscheidung ethisch nicht selbstverständlich und nicht trivial ist. Nach dem Artikel "Übliche Rechtfertigung für Triage zweifelhaft" (Deutsches Ärzteblatt 2006) ist es ein Problem, "ob man rechtfertigen kann, wer unversorgt bleibt". Die Triage richte sich üblicherweise danach aus, die Mehrzahl von Menschen zu retten und dafür eine geringere Zahl an Menschen zu opfern. "Dass Einzelne auf ihre Überlebenschance verzichten sollen, weil man mit den Ressourcen bei alternativem Einsatz einen größeren Gesamtnutzen erzeugen kann, ist ganz offensichtlich keine triviale Norm".

 

Im Gegensatz zu unvorhersehbaren Notfällen seien "in der Alltagsmedizin effizienzorientierte Priorisierungsprogramme politisch und auch in der wissenschaftlichen Debatte höchst umstritten". Die vorgehaltene Behandlungsressource für Patient*innen sei letztlich keine ethische "Prinzipienfrage, sondern eine politische Frage".


Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur psychotherapeutischen Versorgung

Es gibt eine Ähnlichkeit zwischen der Alltagssituation von Psychotherapeut*innen und dem, was die Deutsche Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin als "Extremsituation" für Ärzt*innen bezeichnet (www.divi.de): Wenn nicht alle Patient*innen intensiv behandelt werden können, müssen Behandler*innen auswählen und entscheiden, wer eine Behandlung bekommt und wer nicht. Die Leitlinie für Ärzt*innen bezeichnet dies als "enorme emotionale und moralische Herausforderung" für die Behandler*innen. Über Ärzt*innen in Italien oder Spanien berichtet DIVI-Präsident Uwe Janssens: "Viele sind jetzt schon schwer traumatisiert".

 

Die Entscheidungen von Psychotherapeut*innen für oder gegen eine Behandlung betreffen weniger das unmittelbare (Über)leben von Patient*innen, wie dies bei Ärzt*innen der Intensivmedizin der Fall ist. Aber: Wenn psychische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter nicht behandelt werden, kann die Folge sein, dass dass das Leben von Patient*innen stark beeinträchtigt oder verkürzt ist (z.B. bei hyperkinetischen Störungen des Sozialverhaltens oder einer Anorexia nervosa).


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